15.12.2021

"Stereotype haben wir alle, daher braucht es einen fairen Bewerbungsprozess"

1. Sandra, Du bist nicht nur Mama eines 8-jährigen Kindes, sondern auch frischgebackene Gründerin. Magst Du kurz erzählen, was anonyfy ist?

Ich möchte mit anonyfy eine Plattform bauen, auf dem Unternehmen und Kandidat*innen zu einem fairen Recruitingprozess zusammenkommen. Die Kandidat*innen können sich darauf verlassen, dass nur die Aspekte beachtet werden, die auch für die ausgeschriebene Position relevant sind, und dass sie nicht diskriminiert werden. Das wird durch eine umfangreiche Anonymisierung des Profils erreicht, das weit über Foto und Geschlecht hinausgeht. Die Unternehmen hingegen erhalten durch wissenschaftlich geprüfte Fragebögen mehr und passendere Informationen, ob der oder die Kandidat*in zum Job passt. Außerdem ist ein technisch unterstütztes Interview Teil des Prozesses, das maximale Chancengleichheit und Fairness garantiert.

Damit schaffen die suchenden Unternehmen gleich mehrere Dinge: sie beweisen, dass sie es mit Diversität, Fairness und Wertschätzung der Person ernst meinen, und sie erhalten eine bessere Passung der Kandidat*innen zum gesuchten Profil. Außerdem erhalten sie einen digitalen, effizienten Prozess, der sowohl die Ressourcen im Unternehmen als auch der Kandidat*innen schont.

2. Und was genau sind Deine Aufgaben und wofür brennt Dein Herz dabei?

Als Gründerin habe ich alles zu tun, was anfällt – ich bin Finanzchefin, Vertrieblerin, CIO, Beraterin und vieles mehr. Ich habe in großen Unternehmen gearbeitet, auch in Führungsrollen. Gründen wollte ich nicht nur, weil mir die Themen Diversität und Personalauswahl am Herzen liegen, sondern auch, weil ich eine neue Art von Unternehmen erschaffen will. Ein wertschätzendes, inklusives Arbeitsumfeld, in dem Menschen gerne arbeiten.

Weg vom 100%-Anspruch

3. Wie bringst Du Familie und Karriere in Einklang?

Tatsächlich ist das als Selbstständige und Gründerin eine tägliche Herausforderung. Es ist nie genug Zeit für alle beruflichen Aufgaben, Muttersein, Me-Time und Haushalt. Leider fällt immer etwas hinten runter, ich versuche zu jonglieren, dass es sich die Waage hält. Daher versuche ich, mich täglich von meinem 100%-Anspruch zu lösen, und versuche, möglichst viel zu delegieren. Ich lerne noch.

4. Was motiviert Dich besonders als Managerin?

Ich möchte Menschen helfen, das Beste aus sich herauszuholen und sie stolz auf ihre Leistung werden zu lassen. Ich möchte Teams zusammenstellen, die gemeinsam größer sind als die Summe der Einzelnen. Das treibt mich.

5. Gibt es Dinge, die Du auf Grund Deiner Doppelrolle - Managerin und Mama - in unserer Gesellschaft besonders vermisst?

Ich vermisse Ganztagsschulangebote, die den Namen verdienen. Ich vermisse Wertschätzung des Lehrer*innen- und Erzieher*innen-Berufs, und eine Schulreform. Kinder erfahren schon so früh und so durchgängig strukturelle Gewalt, das muss endlich aufhören. Wir brauchen einen Blick dafür, wie Lernen funktioniert, und wie nicht. Mütter brauchen die Gewissheit, dass Ihre Kinder gut betreut sind. Heute ist das noch lange nicht gegeben.

Naja, und wir als Gesellschaft sollten endlich die Stereotypen überwinden, was Unternehmer*innen und Manager*innen betrifft.

6. Was fehlt vielen Unternehmen heutzutage noch, um Mamas in Führungsrollen zu etablieren? Ich spreche hier explizit von keiner Quote!

Oh, wo soll ich anfangen? Starten wir einmal bei der Kultur. Solange diejenigen am meisten gesehen und gefördert werden, die am längsten abends da sind, und die überall dabei sind, und die am lautesten sind, haben Frauen oft weder die Chance noch den Willen, Karriere zu machen.

Bei der Analyse, warum Frauen oft auf unteren Ebenen noch ausgewogen vorhanden, aber nach oben immer mehr abnehmen, sollten daneben auch Bewertungsprozesse und -maßstäbe untersucht werden. Es ist nachgewiesen, dass Frauen insbesondere im Thema Führungskompetenz grundsätzlich schlechter bewertet werden, auch bei objektiv gleicher Leistung. Und dabei ist egal, ob der Bewertende männlich oder weiblich ist, Stereotype haben wir alle.

Außerdem kommen wir auch schnell auf Arbeitszeiten und Flexibilisierung. Die 40-Stunden-Woche ist weder für Männer noch für Frauen ein gesundes Modell – Männer haben aber noch öfter die Möglichkeit, dieser Forderung nachzugeben. Führung in Teilzeit, geteilte Führung, Job-Sharing – all das sind Modelle, die fähigen Frauen die Möglichkeit geben, ihre Talente auch einzubringen.

7. Wie sorgst Du für Balance und möglichst hohe Lebensqualität in Deinem Leben? 

Als ich Mutter geworden bin, habe ich begonnen, mich sehr viel mit dem Thema Bedürfnisse zu beschäftigen. Bedürfnisse von Menschen, die in einer Familie zusammenleben. Dabei bin ich schnell darauf gekommen, dass Unzufriedenheit viel mit nicht erfüllter Bedürfniserfüllung zu tun hat. Ich habe mir meine Bedürfnisse genauer angeschaut und die Faktoren erkannt, die mich glücklich oder gestresst machen. Und das habe ich auch an meinen Familienmitgliedern analysiert.

"Als Mama, Managerin oder Unternehmensführerin kann ich nur gut sein, wenn ich sicherstelle, dass es mir als Mensch gut geht."

Beispielsweise habe ich mich immer gefragt, warum ich die Einzige bin, die daheim aufräumt. Das liegt an meinem Bedürfnis, dass es daheim ordentlich ist. Und ich weiß es geht mir besser, wenn ich aufgeräumt habe und kann dem Bedürfnis damit einen bewussten und wertschätzenden Raum geben. Ähnlich ist das mit Kulturangeboten oder bestimmen Gesprächen, die ich bewusst mit Personen außerhalb meiner Familie wahrnehme, weil meine Tochter noch zu klein und mein Mann z.B. lieber zum Sport als in Ballett geht. Damit bin ich dann zufrieden und glücklich.

Und auch als Mama, Managerin oder Unternehmensführerin kann ich nur gut sein, wenn ich sicherstelle, dass es mir als Mensch gut geht.

8. Was glaubst Du welche Kernkompetenzen für Frauen/ Mamas als Führungskräfte in Zukunft eine besonders wichtige Rolle spielen? Und was würdest Du für die Zukunft Deiner Tochter gerne bewirken?

Kernkompetenzen sind schon heute, aber auch in Zukunft Organisation von Arbeit und Organisation von komplexer Arbeit. Dazu müssen wir ein Umfeld schaffen von Menschen, die komplexe Probleme lösen können.

Ich möchte Bewusstsein dafür schaffen, dass eine Führungsrolle ein Skillset für sich ist. Eine Führungskraft ist kein Fachexperte, sondern Experte im Bereich Führung. Das ist etwas anderes als der*die Beste zu sein, der man vorsteht. Ich sehe außerdem, dass besonders Mütter in ihrem ganzen Leben es schaffen müssen, zu priorisieren, Bedürfnisse von Menschen zu sehen, win-win-Situationen zu schaffen. Und das ganze Thema Konfliktlösung ist essentiell für eine Führungskraft. Die Erfahrungen dazu bekommt man hervorragen in der eigenen Familie, was deutlich mehr wertgeschätzt werden sollte.

Ich wünsche mir, dass wir zu einer Kultur zu kommen, in der wir Leistung erbringen, ohne dabei selbst auszubrennen. Das, übertragen in Firmenkultur, könnte dann für die Generation meiner Tochter zu einem zufriedeneren Leben im Sinne von Wertschätzung und Gleichberechtigung führen.  

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