28.04.2023

Interview: Weg mit statischen Rollenbildern - lasst uns lieber das WIR leben!

Papa, Ehemann, Gründer und Geschäftspartner – alles Beschreibungen, die auf Jörg Stephan zutreffen. Der gebürtige Stuttgarter hat definitiv einen etwas anderen Weg hingelegt und lebt nun mehr als zufrieden im schönen Holland. Beim Interview mit ManagerMama hat der studierte Wirtschaftswissenschafter einen tiefenentspannten und ausgeglichenen Eindruck hinterlassen – und dass, obwohl seine beiden Mädels in der Pubertät stecken. “Auch das sind Vorurteile und Stereotypen – bei uns merkt man davon (noch) nichts. Wir haben zwei ganz entspannte Töchter”, reagierte der stolze zweifach-Papa.  

Jörg hat sein Herzensthema zum Beruf gemacht. Er findet sich aktiv in seiner Vaterrolle wieder. Was sich in seinen Augen allerdings alles verändern muss, dass Mamas nicht als Rabenmütter betitelt werden und Papas ihre Kinder nicht “untervatern“, berichtet er uns aus voller Überzeugung. Vereinbarkeit für Mann und Frau per excellence.

Du bist liebevoller Papa von zwei Mädchen, erfolgreicher Businessmann sowie Inhaber von Leuchtturm-Papas. Gleichzeitig bist Du einen sehr mutigen Schritt gegangen und hast ein Hamsterrad verlassen. Erzähl uns doch mal kurz, wie du dahin gekommen bist, wo du jetzt stehst.    

Kurz ist gut *lach*. Es war ein ziemlich langer und vor allem holpriger Weg. Rückblickend hat sich der Weg schon in meiner Kindheit abgezeichnet. Menschen haben mich schon immer interessiert und das Wohl der Anderen stand für mich an oberster Stelle. Vielleicht ein Grund, warum ich nach dem Abi Medizin studieren wollte. Aber ich habe mich durch mein Umfeld doch überzeugen lassen, Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Mir war recht schnell klar, dass ich da nicht richtig bin: Elite-Uni und im Studium ging es um Geld und Macht, der Mensch hat nicht gezählt. Wiederfinden konnte ich mich vor allem in den Fächern Wirtschafts- und Organisationspsychologie. Da ging es zumindest zum Teil um die Menschen in Unternehmen. Nach meinem Wirtschaftswissenschaften-Diplom habe ich mich in das Hamsterrad begeben und bin in Amsterdam in einer Beratung durchgestartet – mein Schwerpunkt war Change-Management. Schnelllebigkeit und Machtkämpfe haben dazugehört, die Humanität hat immer gefehlt. Und ich wollte mehr für meine Familie da sein – also bin ich zum “Systemverlasser” geworden. Während eines Sabbaticals habe ich mir viele Gedanken gemacht: Liegt es an der toxischen Männlichkeit, warum es im Management-Bereich meistens so unmenschlich zugeht, oder sind es die Positionen, die die Menschen dahintreiben. Mir war wichtig, dass sich etwas ändert, das Vereinbarkeit für alle Eltern möglich wird und das auch mehr Frauen auch die Topmanagement-Ebene erreichen und es für Männer leichter wird, den Spagat zwischen Familie und Beruf zu meistern. Und so kam es dann zur Gründung der Leuchtturm-Papas im Jahr 2021. 

Ein ungewöhnlicher Weg, den Du da hinter Dir hast. Für viele Männer ist das sicherlich ein Schritt, den sie nicht wagen würden. Ist das auch ein Thema, dass Du bei den Leuchtturm-Papas besprichst?

Ja, es geht mir vor allem darum, dass Bewusstsein von Vätern zu entwickeln und ihnen zu helfen ihr Leben selbstbestimmter zu leben, anstatt nur der großen Masse zu folgen. 

Wir müssen langfristig dahin kommen, dass es keine Schande mehr ist, etwas aufzugeben, weil die Familie an erster Stelle steht oder man eben den Spagat hinbekommen will. Aber es steckt vielmehr dahinter. Als Experte für bewusstes Vatersein und Coach helfe, inspiriere und befähige ich (werdende) Väter für ihre Vaterrolle. Das Ziel ist, dass sie ihre Bedürfnisse erkennen, und schließlich dafür einstehen und sich nicht dafür schämen, ein aktiver Papa sein zu wollen. Dank immer mehr Leuchtturm-Papas wird das Bewusstsein geschaffen, wie wichtig diese Vater-Rolle ist. Aus voller Überzeugung ist es in meinen Augen die wichtigste Rolle eines Mannes. Und das ist nicht unmännlich und darf gerne gelebt werden.  

Eine Rolle in die Du erst hineinwachsen musstest?  

Richtig – ich war anfangs auch weit weg von dem, was ich heute versuche, weiterzugeben. Meine Töchter haben mir dabei die Augen geöffnet. Am Anfang meiner Leuchtturm-Papas-Idee habe ich sehr viele Interviews geführt - mit Papas und Mamas. Und ein Thema kam immer wieder auf: Stress! Für den Großteil ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht möglich und führt immer wieder dazu, dass man überfordert ist. Warum? Weil wir durch den gesellschaftlichen Druck oft den falschen Dingen Gewicht geben. Wir Männer sind beispielsweise unmännlich, wenn wir Schwächen zeigen. Es ist oft befremdlich, wenn ein Mann offen über seine Überforderung im Spagat zwischen Familie und Job spricht und die “Untervaterung” seiner Kinder thematisiert. Aber das ist doch genau der Punkt, der sich ändern muss, damit auch mehr Frauen in Managementpositionen einziehen können und wir eine echte Gleichberechtigung hinbekommen. Väter, die Care-Arbeit übernehmen und somit ein Gleichgewicht der Geschlechter schaffen. Doch unsere Gesellschaft verschließt sich da leider noch sehr und denkt zu sehr im klassischen Rollenformat.  

Info-Box: Was ist Untervaterung? 

Mit dem Begriff Untervaterung spricht Jörg Stephan das Thema an, dass Väter oftmals nicht die Zeit bekommen, in ihrer Vaterrolle aufzugehen. Das passiert aufgrund von Rollenbildern oder eben Stereotypen. In vielen Ländern ist es der Standard, dass Frauen die Betreuung der Kinder übernehmen und Männer arbeiten gehen. Allerdings hat das nichts mit Gleichberechtigung zu tun. Laut einer Studie wünschen sich bereits 93 Prozent der Väter, mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Durch die veralteten Muster unterdrücken jedoch viele Väter ihr Bedürfnis, aktiv an der Betreuung der Kinder teilzunehmen und finden sich als Wochenend-Papa wieder.  Was schlussendlich eine “Untervaterung” der Kinder zur Folge hat und sich oft negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. 

Offenheit für Gleichberechtigung – Fehlanzeige!  

Würdest Du behaupten, dass es ein gesellschaftliches Thema ist, dass die Rollenbilder bis heute noch sehr geschlechtsspezifisch sind? Sind Unternehmen da mittlerweile neutral und machen keinen Unterschied, ob es die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter ist, der in Elternzeit geht und/oder Teilzeit arbeitet?

Natürlich ist es bis heute ein gesellschaftlicher Druck, der uns nach wie vor in diesen “klassischen” Rollen denken lässt. Immerhin waren wir Männer doch schon vor Jahrtausenden für die Versorgung zuständig. Wir waren die, die Kriege geführt haben, nur Frauen können die Babys ernähren – daher sollte sich ein Mann doch nicht mit so unwichtigen Themen wie Kinderbetreuung herumschlagen müssen. Leider einige Fehlgedanken, die sehr tief in den Köpfen der Menschen verankert sind. Und da müssen wir gegen angehen. Und natürlich gibt es genau dieses Rollenverständnis auch in vielen Unternehmen. Bis vor ein paar Jahren haben wir das doch ganz deutlich in den Top-Management-Ebenen gesehen. Es gab nicht viele Frauen, die leitende Positionen innehatten. Da hat sich schon ein wenig getan. Und klar, Elternzeit von Vätern wird heute geduldet. Gerne gesehen oder als normal abgehakt wird es jedoch nur selten. Spätestens bei der Frage nach einem Teilzeitvertrag werden Männer oftmals ungläubig angesehen und zum Vollzeitvertrag gedrängt. Aus Gesprächen mit Vätern ist das für viele nicht leicht. Sie wollen immerhin ihre Männlichkeit waren – vor dem Arbeitgeber, aber auch vor Freunden, Kollegen und anderen Männern. Sicherlich spielen da der Ego und die falsche Eitelkeit eine große Rolle, was u.a. Gründe für eine toxische Männlichkeit sind. 

Es muss sich also noch einiges tun: In den Köpfen der Menschen, in der Rolle der Elternschaft, in Unternehmen. Was können sowohl Politik als auch Unternehmen konkret tun, um Mamas in Führungsrollen zu etablieren?

Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft und Mut, um Veränderungen herbeizuführen, um eine echte gleichberechtigte Welt zu gestalten. Die Chancen von Frauen in Führungspositionen zu verbessern sowie die Akzeptanz von Vätern in Elternzeit und Teilzeit zu steigern. Aber auch mutige Unternehmen sind gefragt, die Frauen mehr Freiraum geben und das Ego-Denken von Männern durchbrechen, um Veränderungen herbeizuführen. Allerdings ist auch Vorsicht geboten, um toxische Energien zwischen Frauen und Männern zu vermeiden. Hier sind Führungskräfte gefragt, die eine menschliche und verbindende Denkweise haben, um das Team neu zu formen. Und natürlich spielt die Politik ebenfalls eine Rolle und kann mit Quotenregelungen einen Beitrag zur Gleichstellung von Frauen leisten. Unternehmen sollten offener und flexibler werden und sich gleichzeitig für Familien öffnen, um eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Die Mitarbeiter sollten aktiv werden, Netzwerke bilden und Veränderungen einfordern. Männer sollten ihre Rolle als Väter ernst nehmen und auch Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. 

Generell bin ich mir sicher, dass Führungskräfte in Zukunft vor allem den Fokus auf den Faktor Mensch legen müssen. Es geht darum, das Team zu verbinden und Diversitäts- und Synergiepotentiale herauszufinden. Wenn Führungskräfte das Hinbekommen und Vertrauen in ihre Mitarbeiter haben, können sie Menschen integrieren, die sich nicht nur als Gehaltsempfänger sehen, sondern als Teil des Unternehmens, die einen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leisten wollen. Ich denke, dass Frauen und Männer, die diese Fähigkeiten haben, besonders wertvoll für Unternehmen und deren Zukunft sind. 

Menschlichkeit spielt für Dich ja generell eine wichtige Rolle – raus aus dem “ich” hin zu dem “wir”. Dazu passt auch Dein zweites Standbein. Mit Deiner Business-Partnerin unterstützt ihr Unternehmen, familienfreundlichere Unternehmenskulturen einzuführen. Bitte erzähle uns etwas darüber. Wie stellt ihr sicher, dass die Unternehmen zu Eurer Vision passen?   

Für uns ein weiterer Schritt, um mehr Menschlichkeit in Unternehmen zu etablieren und so eine familienfreundliche Unternehmenskultur zu schaffen. Es soll eine ganzheitliche Vereinbarkeit von Familie, Leben und Beruf entstehen. Für Eltern mit kleinen Kindern, aber auch für die Pflege von Angehörigen oder andere Care-Arbeit. Wir konzentrieren uns ab sofort vor allem auf sinnstiftende Unternehmen, die zu unserer Vision passen und nicht nur schöne Marketing-Flyer erstellen, sondern auch tatsächlich aus den Gedanken Taten folgen lassen.  


Wir coachen und befähigen sowohl das Management als auch alle Mitarbeiter unterschiedliche wichtige Kompetenzen zu erlernen, welche helfen Vereinbarkeit für alle im Unternehmen zu erleichtern. So sorgen wir dafür, dass die Unternehmenskultur die Bedürfnisse der Mitarbeiter aktiv unterstützt. Mit dem Ziel, dass dadurch WIN-WIN-Ergebnisse für alle Parteien entstehen. 
Es gibt bereits sogar große Unternehmen, wie z.B. SAP, die hier mit gutem Vorbild vorangehen und zeigen, wie das funktionieren kann.  

Familie als Erfüllung fürs Leben 

Was motiviert dich besonders in Deiner Rolle?  

Was mich in meiner Rolle besonders motiviert, ist die Möglichkeit, notwendige gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben und eine neue Unternehmenskultur innerhalb sinnstiftender Unternehmen zu schaffen, die familienfreundlich ist und den Fokus auf den Faktor Mensch legt. Ich habe lange vergebens nur nach Erfüllung im Beruf gesucht. Bis ich erkannt habe, dass meine Erfüllung so nahe war: meine Familie, also meine Frau und meine Kinder. Und erst als ich das erkannt und akzeptiert habe, habe ich schlussendlich auch mit meiner Leuchtturm-Papas-Vision und Mission meine Erfüllung beruflich gefunden. Weil ich weiß, dass sehr viele junge Eltern sich schwer tun, Familie und Beruf erfolgreich und ohne Stress miteinander zu vereinbaren, möchte ich hierfür gerne einen Beitrag leisten. Auch weil ich davon überzeugt bin, dass uns das zu einer gleichberechtigten Welt verhilft. Die brauchen wir nämlich, wenn wir Lösungen für die großen Herausforderungen finden wollen.  

Wie sorgst du heute für Balance und eine möglichst hohe Lebensqualität in deinem Leben?  

Ich versuche, meine Werte zu leben: 

  • Familie 

  • Gesundheit  

  • Freiheit / Unbhängigkeit 

Es hilft mir, mich immer wieder daran zu erinnern, was mir wichtig ist. Ich lege Wert auf einen guten Start in den Morgen und habe seit Jahren eine Morgenroutine, die aus Sport- und Bewegungsübungen und einem gesunden Frühstück besteht. Ich kenne meine Bedürfnisse und achte darauf, dass ich mir diese so gut es geht erfülle. Ich sorge dafür viel Zeit für meine Familie zu haben und meine Verantwortung als Vater wahrzunehmen. Ich denke, dass es wichtig ist, eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden und sich Zeit für Dinge zu nehmen, die einem wichtig sind. 

Ein spannendes Thema zu einem topaktuellen Thema. Vielen Dank, lieber Jörg, für Deine Zeit.

Falls Du mehr erfahren möchtest oder einen Papa kennst, der den Wandel vor sich hat, dann schau bei Jörg auf der Website vorbei.  

 

https://leuchtturm-papas.de/ 

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